In Trier unterhielt die Firma
Osteried in der Dietrichstraße ein Häute- und Lederlager in einem
Hinterhaus des Warsberger Hofes, des ehemaligen Stadtsitzes der
Familie von Warsberg. Dieses Anwesen gehörte zu jener Zeit
Valentin Leonardy. Hier begegnete Johann Wilhelm Rautenstrauch
auch erstmals der Tochter Susanne Leonardy. Susanne Leonardy
verliebte sich sofort in den Handelsreisenden aus Frankfurt. In
der Familie ist überliefert, dass sie ihm ihre Hand anbot und
nicht er um sie angehalten hat. Am 10.04.1824 heiratete Susanne
Leonardy den Handelsreisenden Johann Wilhelm Rautenstrauch.
Mit finanzieller Unterstützung seines Schwiegervaters konnte sich
Johann Wilhelm Rautenstrauch schon bald selbständig machen und
gründete die Firma „Rautenstrauch und Companie". Es spricht für
die starke Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit Rautenstrauchs, dass
sich das Trierer Bankhaus Reverchon an der Firma beteiligte, so
dass noch im Jahre 1824 die Firma "Rautenstrauch und Co. als
Kommanditgesellschaft nach französischem Recht gegründet werden
konnte. Das Kontor der Firma wurde im Warsberger Hof in der
Dietrichstraße eingerichtet. Der Bestand und das Vermögen der
Firma Osteried in Trier wurden übernommen. Schnell wurden im
Stadtgebiet von Trier Lagerräume für Häute und Leder angemietet
und später gekauft.
Der geschäftliche Erfolg Johann Wilhelm Rautenstrauchs basierte
auf seiner richtungweisenden Idee, die kleineren Trierer
Gerbereien in rationell arbeitende Großbetriebe umzustrukturieren.
Für diese betriebliche Umgestaltung war die Erweiterung des
Häutehandels von grundlegender Bedeutung.
Durch Johann Wilhelm Rautenstrauch haben die Gerbereien des
Trierer Landes nach Umfang und betrieblichen Verfahren ihre
gesamte Struktur verändert. Sie taten den Schritt zu einer höheren
Wirtschaftsstufe und haben sich örtlich umgeschichtet, indem sie
sich enger an die Moselwege anschlossen.
Das sehr alte bis in die Römerzeit zurückreichende Gerbereigewerbe
des Trierer Landes umfasste bei der Übernahme des linken
Rheinufers im Jahre 1816 durch Preußen 263 Gerbereien, die sich
bis 1827 um weitere 10 Betriebe vermehrten. 23 davon entfielen auf
die Stadt Trier. Von betriebswirtschaftlicher Bedeutung war der
hohe Bedarf an Eichenlohe für das damals übliche
Eichenlohegrubenverfahren. Es betrug allein für die 23 Gerbereien
in Trier 500 Zentner pro Jahr. Mit dieser Lohe verarbeiteten die
Gerber im gesamten Stadtbereich noch nicht einmal 3000 Tierhäute
zu Sohlleder," eine Anzahl, die später jeder einzelne Betrieb
verarbeiten sollte. Alle Betriebe beschäftigten zusammen 17
Gesellen, was bedeutete, dass die Gerbereien kleine
Handwerksbetriebe waren. Die Landgerbereien der Umgebung waren
überhaupt nur überlebensfähig, wenn sie Nebenbetriebe zur
Landwirtschaft, Weinbau und Eichenschälwaldwirtschaft waren.
Mengenmäßig konnten sie weitaus weniger Häute verarbeiten als die
Stadtbetriebe. Für die gesamte Häuteproduktion fehlte es zu dem
noch an einem zuverlässigen Absatzmarkt. Die ausschließlich
inländischen "Zahmhäute" wurden in der Weiterverarbeitung bei
Metzgern und Hirten der engeren Heimat in quantitativer und
qualitativer Abhängigkeit, von mehr oder weniger zufälligen
Schlachtungen erworben, und zuweilen in noch primitiverer
Abhängigkeit von Landwirten im Lohn gegerbt. In einer Hinsicht gab
es diesbezüglich jedoch um 1820 schon im Ansatz eine Verbesserung
der Situation. Einige Gerber aus dem Stadtgebiet von Trier und aus
Saarburg hatten nämlich zu dieser Zeit bereits Anschluss an die
nächstgelegene Ledermesse in Frankfurt am Main. Dorthin wurde das
örtlich nicht abgesetzte Leder aus der Eifel per Landtransport und
von der Saar und Mosel auf dem Wasserweg auf die Frühjahrsmesse
gebracht. Dies führte in den meisten Betrieben zu saisonaler
Arbeit, zumal es auch in der Region an geheizten Lagerräumen
fehlte, die notwendig waren, um gegerbtes Leder vor Schimmel- und
Pilzbefall zu schützen.
Johann Wilhelm Rautenstrauch hatte auf seinen vielen Handelsreisen
und durch zahlreiche Kontakte auf der Frankfurter Ledermesse
intensiven Einblick in die betrieblichen Strukturen, vor allem
auch der Trierer Gerbereien, gewonnen. Diese galt es, aus ihren
kleinbetrieblichen Strukturen herauszuführen und zwar von der
Basis des Häutehandels her.
Zunächst beschäftigte ihn aber das zeitaufwendige
Lohgerbverfahren, das 1 1/2 bis 2 Jahre in Anspruch nahm, ehe das
Sohlleder edelreif und verkaufsfertig war. Auch in der
Oberlederproduktion benötigte man ein 1/2 Jahr Gerbzeit. Während
dieser Zeit war man Preisschwankungen ausgesetzt. Außerdem waren
die Betriebe durch Zinsverluste, Kapitalbindung und durch
Grundstückserwerb für ihre Vergrößerung belastet. Eine finanzielle
Analyse, die Johann Wilhelm Rautenstrauch erstellte, ergab, dass
bessere Voraussetzungen für die Rentabilität der Unternehmen durch
eine gute Infrastruktur, gezieltem Anbau von Lohhecken, günstige
Grundstückspreise durch Landkauf von der preußischen
Domänenverwaltung und durch Preissteigerungen im Lederverkauf zu
erwarten seien.
Eine Gerbkaule enthielt ca. 24 Zentner Leder und ein Zentner
Sohlleder hatte den Wert von 30 - 40 Talern, der in der Hausse von
1850 auf 60 Taler stieg. Wenn ein großer Betrieb 3000 bis 5000
Häute benötigte, so kann man ersehen, dass ein ansehnlicher
Kapitalbedarf vorhanden sein musste, um dem geschäftlichen Druck
standzuhalten.
Getreu dem alten Gerbergrundsatz: "Es soll die Haut zur Lohe
wandern und nicht umgekehrt", empfahl Johann Wilhelm Rautenstrauch
den Gerbern auch, selbst Krüppeleichen anzupflanzen, um die
Lohekosten zu senken.
Überschüsse an Eichenrinde aus der Eifel und dem Hunsrück könnten
bei Bedarf billig hinzugekauft und eingelagert werden, zumal
Eichenspiegelrinde aus der Eifel von sehr guter Qualität war.
Ausschlaggebend für den Aufschwung war die von Rautenstrauch
gegebene Absatzgarantie. Begründet war die Absatzgarantie durch
die Bevölkerungszunahme und vor allem mit der Militärbelegung
durch die Preußen an der Westgrenze des Reiches. Der Verschleiß
von Sohlleder stieg um ein Vielfaches. Der Verbrauch durch das
Militär kam Rautenstrauch sehr entgegen. Die Indendanturen
(Dienststellen der preußischen Militärverwaltung) verlangten
qualitativ immer die gleiche Ware. Die Qualität der einheimischen
Land- und Zahmhäute war aber schlecht und von ungleicher Qualität,
vor allem abhängig von den Schlachtverhältnissen der einheimischen
Metzger und der Landwirte. Genau an dieser Stelle setzte Johann
Wilhelm Rautenstrauch an. Seine Absicht war es, den einheimischen
Gerbern anderes Ausgangsmaterial zu beschaffen. Er wollte die
Betriebe umstellen auf die qualitativ bessere Wildhaut, die
bereits Eingang in die Lederproduktion in Frankreich und Spanien
gefunden hatte. Das daraus erzeugte Leder war von ungleich höherer
Qualität.
Als Händler gab Rautenstrauch eine Absatzgarantie. Diese konnte
aufgrund der raschen Bevölkerungszunahme und durch den Bedarf des
preußischen Militärs an Sohlleder gewährleistet werden. Die
Produktion von Sohlleder stieg um ein Vielfaches. Johann Wilhelm
Rautenstrauchs fundierte Sachkenntnisse in Bezug auf
Lederherstellung und Handel sicherten ihm das Ansehen und Zutrauen
der Gerber und des Lederhandels. Bald war eine gleichmäßige
Lieferung und Abnahme gewährleistet. Hierzu ermöglichte er es den
Gerbern, einen kompletten Posten Rohhäute zu kaufen, so dass auf
lange Sicht nach einem Betriebsplan gearbeitet werden konnte. Da
den Betrieben oftmals der Lagerraum fehlte, lagerte er die Häute
in seinen Räumen in Trier ein, bis die Gruben der Gerber frei
waren. Wurde das gegerbte Leder bisher pauschal verkauft, wurde
nunmehr in Prima- und Secundaware unterschieden, nach schweren und
leichten Stücken, so dass auch verschiedene Fabrikationszweige
angesprochen werden konnten. Die Betriebe konnten sich nunmehr so
gliedern, dass man ihre Produkte unterscheiden konnte nach
Sohlleder, Oberleder oder Leder für Taschen und Bekleidungsstücke.
Die Erweiterung der Produktpalette hielt Johann Wilhelm
Rautenstrauch für sehr wichtig, um den Absatz zu steigern.
In seinem neuen Lagerhaus in der Metzelstraße wurden Häute und
Fertigprodukte nach den eben aufgezeigten Grundsätzen eingelagert,
so dass Produzent, Verkäufer und Käufer die gleichen
Ordnungskriterien hatten. Die aufgekauften Häute wurden nach
Lieferart (Schiff oder Landtransport), nach Herkunftsland,
Güteklasse und nach Gewichtsstaffeln gelagert. Somit war eine
völlig neue Grundlage für die Betriebskalkulation geschaffen.
Für Johann Wilhelm Rautenstrauch war es wichtig, dass die Gerber
als Kunden und die Käufer der Lederindustrie eine eingehende
Beratung erhielten. Dies hatte er während seiner intensiven
Ausbildung gelernt. Durch die Beratung von Käufern und Verkäufern,
von Produzent und Lieferant, erarbeitete er sich eine
Führungsposition in der gesamten westdeutschen Lederindustrie.
Hoch angesehen waren seine Kenntnisse der einzelnen Kundenbetriebe
und ihrer Spezialbedürfnisse. Man sagt ihm heute noch nach, dass
er jede Haut gekannt hatte und ihre Entwicklung bis zum fertigen
Leder in den örtlichen Gerbereien verfolgt hatte.
Die Qualität der einheimischen Land- und Zahmhäute war relativ
schlecht und von unterschiedlicher Qualität. Daher begann Johann
Wilhelm Rautenstrauch mit dem Import von La-Plata-Häuten, die er
aus Argentinien und Uruguay importierte. Die Brasilhäute stammten
aus dem Gebiet um den Rio Grande. Auch von der Westküste Chiles
und aus Venezuela importierte er Häute. Er bezog sie entweder über
Le Havre auf dem Landweg, später von Metz per Schiff oder Bahn.
Exotische Häute, wie z.B. indische Kipse (Häute einer Ziegenart)
bezog er über London, Häute aus Java über Rotterdam. Bisher hatte
man die Häute als Trockenhäute, gegen Insektenfraß vergiftet und
luftgetrocknet importiert. Johann Wilhelm Rautenstrauch versuchte
nun, eine andere Art des Importes durchzusetzen, die eine bessere
Lederqualität versprach. In Südamerika ließ er frische Häute in
eine Salzsole legen und importierte sie als Nasshäute. Diese
verloren auf dem Transport zwar etwas an Gewicht, waren aber von
besserer Qualität. Der Erlös lag zwischen 3 - 6 Talern höher als
bei der einheimischen Zahmhaut.
Im zweiten Jahrzehnt seiner Firma erweiterte Johann Wilhelm
Rautenstrauch seinen Betrieb und gründete 1830 in Köln eine
Filiale durch Aufkauf der Kölner Häutefirma Hölterhoff, die sein
jüngerer Bruder Ludwig Theodor leitete.
(siehe im Kapitel "Recherche")
In Antwerpen übernahm er die Firma Kreglinger und in Crombach/Siegerland
die Fa. Mallinckrodt. Seine Rechnung in Bezug auf die Ausbreitung
des Lederhandels, die er den Gerbern klarmachte, war aufgegangen.
In Trier und an der Saar gab es keine Kleinbetriebe mehr, sondern
nur noch Gerbereien, die mehr als 20 Gesellen und mehr als 5
Hilfskräfte angestellt hatten. Die Produktionssteigerung, die
eintrat, spricht für sich:
1824 3.000 Sohlhäute
1855 18.000 Sohlhäute
1856 29.000 Sohlhäute
Von diesen Häuten kamen 20.000 aus Kalkutta und der Rest aus
Südamerika. Die einheimischen Häute hatten nur noch einen
verschwindend kleinen Anteil.
An Leder wurde verkauft:
1855 4.055 Zentner
1856 5.613 Zentner
Im Jahre 1841 schied das Bankhaus Reverchon aus der Firma aus und
die St. Wendeler Kaufmannsfamilie Cetto trat mit einer Einlage von
60.000 Talern in die Firma ein. Der Betrieb expandierte dermaßen,
dass Köln ein führender Umschlagplatz für die Häute- und
Lederindustrie wurde. Die Firmen in Köln und Trier wurden von
Johann Wilhelm Rautenstrauch unter einheitlicher Bilanzierung
geführt. Unterschiedlich war lediglich der Absatzmarkt. Von Trier
wurden die Eifel, die Mosel, Belgien, die Pfalz, Elsass-Lothringen
und Südamerika bearbeitet. Von Köln aus wurden die Gebiete
Voreifel, Sauerland, Eupen-Malmedy, Russland, Polen und Schlesien
gesteuert. In Erfurt und Braunschweig, in Warschau und St.
Petersburg unterhielt Johann Wilhelm Rautenstrauch Agenturen. In
die Kölner Firma wurden schließlich die Firmen Osterried und
Richards integriert.
Firmenmitglieder gingen nach Antwerpen, Le Havre und Brüssel, um
dort die Importgeschäfte zu leiten. Rotterdam wurde nicht
ausgenommen.
Im Jahre 1857 entsandte er seinen Sohn Valentin nach Buenos Aires,
um dort in allen drei La - Plata - Staaten Beziehungen
anzuknüpfen, nicht nur zu den Exporteuren, sondern auch zu den
Großschlächtern. Die Reise wurde ein voller Erfolg. In Buenos
Aires wurde eine Agentur der Firma Johann Wilhelm Rautenstrauch
und Co. eingerichtet, die für das Stammhaus in Trier und die
andern Filialen von größter Bedeutung war. Nunmehr brauchte man
keinen fremden Importeur mehr, sondern importierte selbst. Der
negativen Entwicklung des Importgeschäftes konnte er
entgegenwirken und übernahm in Antwerpen die Importfirma Bracht,
deren Niederlassung bis 1970 in Buenos Aires existierte und nach
wie vor Häute exportierte.
Die Aufnahme des ältesten Sohnes im Jahre 1858 in die Firma war
die letzte maßgebliche Anordnung, die Johann Wilhelm Rautenstrauch
tätigte.
Neben seinen geschäftlichen Aktivitäten hat Johann Wilhelm
Rautenstrauch eine lebhafte Tätigkeit zum Wohle der Stadt Trier
entwickelt. Besonders erwähnenswert sind seine Bemühungen um die
Erweiterungen der Verkehrswege. So hat er seit 1838 dem Vorstand
der Moseldampfschifffahrtsgesellschaft angehört. Die
Verwirklichung der Moseldampfschifffahrt erlebte er 1841.
Finanziell förderte er den Ankauf von geeigneten Schiffen und
leitete auch den Schifffahrtsbetrieb. In ähnlicher Weise
engagierte er sich bei der Anbindung von Trier an das
Eisenbahnnetz. Er erlebte noch die Einweihung einer Teilstrecke
der Bahnlinie Trier - Saarbrücken - Luxemburg. Schließlich war
auch die Errichtung der Handelskammer Trier sein Werk. Bei der
Eröffnung der Kammer am 06.07.1855 wurde er zu ihrem ersten
Präsidenten gewählt.
Politisch war er als Stadtverordneter engagiert. Er verhielt sich
hier allerdings sehr zurückhaltend. Nur bei der revolutionären
Bewegung 1848 trat er in den Vordergrund. So verfasste er das
Dankesschreiben an den preußischen König für die Auflösung der
starr oppositionellen preußischen Nationalversammlung und für die
revidierte Verfassung vom 05. 12.1849, die die Revolution
abschloss.
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