Familiengeschichte Rautenstrauch
Agnes, Hedi und Alex Rautenstrauch, Ulli Scholtz, Walter Frings und Adrian Mohr

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Der Ursprung und
Johann Wilhelm

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Der Ursprung der Familie Rautenstrauch und Johann Wilhelm
Dieser Text ist entnommen aus dem Buch:
Constantin Cnyrim: Chronik der Familie Tobias, Band II, Die kognatischen Nebenlinien, Königswinter 2000, S.369ff
mit freundlicher Genehmigung von Constantin Cnyrim im Januar 2007
 

Die Nebenlinie Rautenstrauch
Der Aufbruch zum Frühkapitalismus


Der Ursprung der Familie Rautenstrauch führt weit nach Osten, nach Schlesien. Doch sind die Informationen über die ersten Generationen nicht sehr ergiebig. Außer den Namen und auch teilweise ihren Berufen ist kaum etwas über sie bekannt.

In dem ältesten Bürgerbuch von Breslau ist vermerkt, dass ein Paulus Rutinstruch am 04.09.1391 das Bürgerrecht erhielt. Es ist angegeben, dass er von Beruf Kürschnermeister war.

Am 01.02.1407 erhielt er das Bürgerrecht in Breslau:
„ .......et Andres Rutinstruch facti sunt civis. Fidejuusserunt jurati ......... et pater, senator Paulus."
„........und Andres Rutinstruch wurden Bürger. Unter Eid haben gebürgt........und der Vater, Senator Paulus."
Damit ist erwiesen, dass Andres Rutinstruch der Sohn von Paulus Rutenstruch war und dass der Vater Ratsherr in Breslau war. Auch Andres wurde später dort Ratsherr.

Augustinus Rawtemstrawch erhielt das Bürgerrecht am 26.02. 1442. Er starb als Ratsherr in der Weißgerbergasse neben dem Kottilienhof in Jahre 1492. So steht es vermerkt im Zunftbuch der Weißgerber von 1492. Hier kann ich nur vermuten, dass er ein Sohn von Andres Rutinstruch war.

Als nächster erhielt im Jahre 1501 Jacob Rautemstrauch das Bürgerrecht. Auch er war Kürschnermeister in der Weißgerbergasse.
 

In dem Zunftbuch der Weißgerber und Kürschner des Jahres 1501 steht, dass Lorenz Rautemstrauch 1557 Gertrud Daniel geheiratet hat. Er war Ratsherr und 2. Bürgermeister von Breslau. In Scheitnik bei Breslau erbte er ein Bauerngut.

Die nächste Generation wurde durch Jacob Rautemstrauch geprägt. Er heiratete im Jahre 1591 Barbara Hielger. Als genannter Sohn von Lorenz Rautemstrauch kaufte er in Breslau ein Haus am Ziczenplatz. Er hatte sich der „Neuen Lehre" (Die "Neue Lehre wurde der damals junge Protestantismus genannt) angeschlossen und wanderte aus Breslau, wegen religiöser Streitigkeiten, mit seiner Frau und seinem Sohn Christoph aus.

Die bisherigen Informationen stammen alle aus den alten Bürger- und Zunftbüchern der Stadt Breslau.
(Diese Bücher hat die Mutter von Constantin Cnyrim Mutter im Jahre 1938 selbst in Breslau eingesehen und teilweise abgeschrieben. Ein Schriftverkehr mit der Stadtverwaltung Wroslaw (Breslau) im Jahre 1977 brachte keine weiteren Erfolge, da die Archivalien der Stadt aus diesen Jahrhunderten noch verschollen waren)

Die weiteren Angaben über die folgenden 3 Generationen sind den Kirchenbüchern der Gemeinde Riegersdorf in Schlesien entnommen.

Der schon oben erwähnte Sohn Christoph Rauttemstrauch d.Ä. ist nach einem schriftlichen Hinweis der Pfarrei Riegersdorf aus dem Jahre 1938 wahrscheinlich in Weignitz/Schlesien geboren worden. Er heiratete Agnete (Agnes) Elisabeth Teichmann. Er wurde Groß- und Freibauer (der Freibauer oder Freisasse war von jeglichen Lehnspflichten, wie Frondienste oder dem Zehnten befreit. Der Freibauer war in der Regel Eigentümer eines Freigutes) in Riegersdorf. Hier war er außerdem als Gerichtsschöffe, sowie als bischöflicher Frohnvogt (nach dem mittelalterlichen Recht und bis zum Ende des Absolutismus war der Frohnvogt der richterliche Vollstreckungsbeamte) tätig. Letzteres erscheint etwas unwahrscheinlich, denn Christoph Rauttemstrauch war doch evangelisch.

Christoph Rauttemstrauch d.J. wurde am 24.09.1634 in Riegersdorf geboren. Er wurde wie sein Vater Groß- und Freibauer. Als Bauer muss er sehr erfolgreich gewesen sein, denn er hatte die finanziellen Mittel erlangt, um sich noch zusätzlich eine Töpferei und eine Kunstgärtnerei zu kaufen, die er auch mit Erfolg betrieben hat. Er war verheiratet mit Anna Woywod. Aus ihrer Ehe ist nur ein Sohn bekannt. Christoph Rauttemstrauch starb am 23.10.1695 in Riegerdorf.

Der Sohn hieß Frederic Christoph Rauttemstrauch. Über ihn ist nur bekannt, dass er im Jahre 1701 nach Straßburg auswanderte…

Am 02.12.1702 erwarb Frederic Christoph Rautemstrauch unter Hinterlegung von 2 Florin und 16 Schilling im Pfennigturm zu Straßburg das Bürgerrecht der Stadt (die Bürgerrechtsurkunde liegt heute im Stadtarchiv von Straßburg; Mitteilung der Mairie de la ville de Strasbourg von 25.5.1985).
Um das Bürgerrecht zu erwerben, musste er einen Beruf haben und in einer Zunft eingetragen sein. Er wurde im Sommer 1702 in die Zunft zum Spiegel aufgenommen, in der Kaufleute und Handelsherren organisiert waren. Frederic Christoph Rautemstrauch setzte die Tradition des Kürschners und Rotgerbers nicht fort, sondern betätigte sich in Straßburg als Lederhändler.
 

Das Wappen der Zunft zum Spiegel In Straßburg heiratete er zweimal. In erster Ehe war er seit 1702 verheiratet mit Marie Dorothea Kornemann, Tochter des Zunftmeisters „Zum Spiegel" und Handelsherrn, Heinrich Kornemann. Ob und wie viele Kinder er aus der ersten Ehe hatte, ist nicht bekannt.

Aus seiner 2. Ehe entstammte unser direkter Ahn. Im Jahre 1712 heiratete Frederic Christoph Rauttemstrauch Madeleine Barbe Mollinger. Durch seine Eheschließungen hatte er sich mit alteingesessenen Straßburger Familien verschwägert, die beide große Handelshäuser besaßen. Durch diese Verbindungen wurde er erbliches Mitglied des Rates der Stadt Straßburg und Handelsherr der „Fa. Mollinger und Consorten", einer Firma, die heute noch in Straßburg existiert.

Frederic Christoph Rauttemstrauch starb am 31.01.1755.

Aus seiner 2. Ehe stammte ein Sohn Frederic Philipp Rautenstrauch. In seinem Geburtseintrag der Pfarrei St, Thomas ist erstmals die heutige Schreibweise des Namens zu finden.

Frederic Philipp Rautenstrauch wurde am 27.03.1713 geboren und nach evangelischem Ritus in St. Thomas getauft. In alten Familienakten steht, dass er Kammerherr des Kardinals Rohan gewesen sei. Nach einer Mitteilung der Stadt Straßburg aus dem Jahre 1978 kann dies aber nicht möglich gewesen sein, da er evangelisch war. Wahrscheinlich ist, dass er „Perruquier du roi" (Königlicher Perückenmacher) war. In den Akten der Stadt Straßburg ist er als Ratsherr, Oberhandwerksmeister und Zunftmeister in der Zunft zum Spiegel vermerkt. Somit war er u.a. auch als Handelsherr tätig.

Im Jahre 1741 heiratete er Susanne Margarethe Osteried.

Sie war die Tochter des Handelsherrn Maximilian Osteried, der in Straßburg ein großes Leder- und Häutehandelshaus unterhielt.

Jedoch war dieser Ehe kein langes Glück vergönnt. 1743 starb Margarethe Osteried.
 

Wappen der Zunft der Tuchhändler, in der die Perückenmacher organisiert waren Am 29.01.1744 heiratete er in zweiter Ehe Maguarithe Giesebrecht. Kurz vor seinem Tod im Jahre 1769 wurde er noch 2. Zunftmeister in der Zunft der Perückenmacher.

Dies erweist eindeutig, dass er in seinem Leben nicht als Perückenmacher tätig war, denn er wurde am Tage des Eintritts in die Zunft erst von dieser freigesprochen. Es ist eher anzunehmen, dass er als „Perruquier du roi" mit Perücken gehandelt hat, zumal er Verbindungen zur Lederindustrie hatte. Das Untermaterial der Perücken der damaligen Zeit war nämlich aus dünn geschabtem Ziegenleder. Frederic Philipp Rautenstrauch starb am 09.06.1769.

Aus dem Geburtsdatum des einzigen bekannten Sohnes, Jean Guillaume Rautenstrauch, ist anzunehmen, dass aus dieser Ehe noch mehrere Kinder hervorgingen.

Der Sohn Jean Guillaume Rautenstrauch wurde am 17.10.1766 in Straßburg geboren und im „Neuen Tempel" evangelisch getauft. Er wurde zuerst wie sein Vater, Handelsherr im Hause Mollinger, wechselte dann aber zu der Handelsfirma Osteried, die auch mit Häuten und Leder handelte. Nach der französischen Revolution empfahl er sich den Republikanern. Unter Napoleons Konsulat wurde er in Straßburg „Secretaire général" und Friedensrichter. Beide Positionen behielt er bis zu seinem Tode im Jahre 1815.

Am 02.10.1792 heiratete er Sophia Elisabetha (de) Deubler aus Straßburg.
Sophia Elisabetha (de) Deubler war die Tochter des Zolleinnehmers Johann Friedrich (de) Deubler und seiner Frau Madeleine Manlin. Aus seiner Ehe entstammten 9 Kinder:
 

 

Jean Guillaume Rautenstrauch d.J. wurde bereits vor der Eheschließung seiner Eltern, am 12.06.1791 geboren und ebenfalls auf den Namen Jean Guillaume nach evangelischem Ritus getauft. Künftig wurde er aber Johann Wilhelm genannt. Obgleich er nur der Stiefenkel von Susanne Margarethe Osteried war, sollte diese familiäre Verbindung für seinen Lebensweg von entscheidender Bedeutung werden. Er war das älteste von 9 Kindern. Nach einer kaufmännischen Lehre im Handelshaus Mollinger in Straßburg, wechselte er zu der Fa. Cordier, einer renommierten Lederfabrik, nach Metz. Während seiner Lehre und auch in Metz hatte Johann Wilhelm Rautenstrauch hinreichend Gelegenheit, sich mit den damals modernen Gerbverfahren zu befassen. Im Handel mit Leder lernte er auch Beziehungen zu knüpfen, da die Firmen Mollinger und Consorten, sowie Cordier zu den führenden Lederhändlern Europas gehörten. Diese Tätigkeit wurde dennoch für ihn nicht so richtungweisend wie die Anstellung als Handelsreisender bei der Niederlassung der Firma Osteried in Frankfurt. Die gute Aufnahme als Stiefverwandter in die Firma, brachte ihm bald die Prokura ein. Damit verbunden war der Wechsel von der Häuteverarbeitung zum Häutehandel.
Seine Handelsreisen führten ihn zu den Gerbereien an Saar und Mosel und nach Köln.
 



 

 

In Trier unterhielt die Firma Osteried in der Dietrichstraße ein Häute- und Lederlager in einem Hinterhaus des Warsberger Hofes, des ehemaligen Stadtsitzes der Familie von Warsberg. Dieses Anwesen gehörte zu jener Zeit Valentin Leonardy. Hier begegnete Johann Wilhelm Rautenstrauch auch erstmals der Tochter Susanne Leonardy. Susanne Leonardy verliebte sich sofort in den Handelsreisenden aus Frankfurt. In der Familie ist überliefert, dass sie ihm ihre Hand anbot und nicht er um sie angehalten hat. Am 10.04.1824 heiratete Susanne Leonardy den Handelsreisenden Johann Wilhelm Rautenstrauch.

Mit finanzieller Unterstützung seines Schwiegervaters konnte sich Johann Wilhelm Rautenstrauch schon bald selbständig machen und gründete die Firma „Rautenstrauch und Companie". Es spricht für die starke Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit Rautenstrauchs, dass sich das Trierer Bankhaus Reverchon an der Firma beteiligte, so dass noch im Jahre 1824 die Firma "Rautenstrauch und Co. als Kommanditgesellschaft nach französischem Recht gegründet werden konnte. Das Kontor der Firma wurde im Warsberger Hof in der Dietrichstraße eingerichtet. Der Bestand und das Vermögen der Firma Osteried in Trier wurden übernommen. Schnell wurden im Stadtgebiet von Trier Lagerräume für Häute und Leder angemietet und später gekauft.

Der geschäftliche Erfolg Johann Wilhelm Rautenstrauchs basierte auf seiner richtungweisenden Idee, die kleineren Trierer Gerbereien in rationell arbeitende Großbetriebe umzustrukturieren. Für diese betriebliche Umgestaltung war die Erweiterung des Häutehandels von grundlegender Bedeutung.

Durch Johann Wilhelm Rautenstrauch haben die Gerbereien des Trierer Landes nach Umfang und betrieblichen Verfahren ihre gesamte Struktur verändert. Sie taten den Schritt zu einer höheren Wirtschaftsstufe und haben sich örtlich umgeschichtet, indem sie sich enger an die Moselwege anschlossen.

Das sehr alte bis in die Römerzeit zurückreichende Gerbereigewerbe des Trierer Landes umfasste bei der Übernahme des linken Rheinufers im Jahre 1816 durch Preußen 263 Gerbereien, die sich bis 1827 um weitere 10 Betriebe vermehrten. 23 davon entfielen auf die Stadt Trier. Von betriebswirtschaftlicher Bedeutung war der hohe Bedarf an Eichenlohe für das damals übliche Eichenlohegrubenverfahren. Es betrug allein für die 23 Gerbereien in Trier 500 Zentner pro Jahr. Mit dieser Lohe verarbeiteten die Gerber im gesamten Stadtbereich noch nicht einmal 3000 Tierhäute zu Sohlleder," eine Anzahl, die später jeder einzelne Betrieb verarbeiten sollte. Alle Betriebe beschäftigten zusammen 17 Gesellen, was bedeutete, dass die Gerbereien kleine Handwerksbetriebe waren. Die Landgerbereien der Umgebung waren überhaupt nur überlebensfähig, wenn sie Nebenbetriebe zur Landwirtschaft, Weinbau und Eichenschälwaldwirtschaft waren. Mengenmäßig konnten sie weitaus weniger Häute verarbeiten als die Stadtbetriebe. Für die gesamte Häuteproduktion fehlte es zu dem noch an einem zuverlässigen Absatzmarkt. Die ausschließlich inländischen "Zahmhäute" wurden in der Weiterverarbeitung bei Metzgern und Hirten der engeren Heimat in quantitativer und qualitativer Abhängigkeit, von mehr oder weniger zufälligen Schlachtungen erworben, und zuweilen in noch primitiverer Abhängigkeit von Landwirten im Lohn gegerbt. In einer Hinsicht gab es diesbezüglich jedoch um 1820 schon im Ansatz eine Verbesserung der Situation. Einige Gerber aus dem Stadtgebiet von Trier und aus Saarburg hatten nämlich zu dieser Zeit bereits Anschluss an die nächstgelegene Ledermesse in Frankfurt am Main. Dorthin wurde das örtlich nicht abgesetzte Leder aus der Eifel per Landtransport und von der Saar und Mosel auf dem Wasserweg auf die Frühjahrsmesse gebracht. Dies führte in den meisten Betrieben zu saisonaler Arbeit, zumal es auch in der Region an geheizten Lagerräumen fehlte, die notwendig waren, um gegerbtes Leder vor Schimmel- und Pilzbefall zu schützen.

Johann Wilhelm Rautenstrauch hatte auf seinen vielen Handelsreisen und durch zahlreiche Kontakte auf der Frankfurter Ledermesse intensiven Einblick in die betrieblichen Strukturen, vor allem auch der Trierer Gerbereien, gewonnen. Diese galt es, aus ihren kleinbetrieblichen Strukturen herauszuführen und zwar von der Basis des Häutehandels her.

Zunächst beschäftigte ihn aber das zeitaufwendige Lohgerbverfahren, das 1 1/2 bis 2 Jahre in Anspruch nahm, ehe das Sohlleder edelreif und verkaufsfertig war. Auch in der Oberlederproduktion benötigte man ein 1/2 Jahr Gerbzeit. Während dieser Zeit war man Preisschwankungen ausgesetzt. Außerdem waren die Betriebe durch Zinsverluste, Kapitalbindung und durch Grundstückserwerb für ihre Vergrößerung belastet. Eine finanzielle Analyse, die Johann Wilhelm Rautenstrauch erstellte, ergab, dass bessere Voraussetzungen für die Rentabilität der Unternehmen durch eine gute Infrastruktur, gezieltem Anbau von Lohhecken, günstige Grundstückspreise durch Landkauf von der preußischen Domänenverwaltung und durch Preissteigerungen im Lederverkauf zu erwarten seien.
Eine Gerbkaule enthielt ca. 24 Zentner Leder und ein Zentner Sohlleder hatte den Wert von 30 - 40 Talern, der in der Hausse von 1850 auf 60 Taler stieg. Wenn ein großer Betrieb 3000 bis 5000 Häute benötigte, so kann man ersehen, dass ein ansehnlicher Kapitalbedarf vorhanden sein musste, um dem geschäftlichen Druck standzuhalten.

Getreu dem alten Gerbergrundsatz: "Es soll die Haut zur Lohe wandern und nicht umgekehrt", empfahl Johann Wilhelm Rautenstrauch den Gerbern auch, selbst Krüppeleichen anzupflanzen, um die Lohekosten zu senken.
Überschüsse an Eichenrinde aus der Eifel und dem Hunsrück könnten bei Bedarf billig hinzugekauft und eingelagert werden, zumal Eichenspiegelrinde aus der Eifel von sehr guter Qualität war.

Ausschlaggebend für den Aufschwung war die von Rautenstrauch gegebene Absatzgarantie. Begründet war die Absatzgarantie durch die Bevölkerungszunahme und vor allem mit der Militärbelegung durch die Preußen an der Westgrenze des Reiches. Der Verschleiß von Sohlleder stieg um ein Vielfaches. Der Verbrauch durch das Militär kam Rautenstrauch sehr entgegen. Die Indendanturen (Dienststellen der preußischen Militärverwaltung) verlangten qualitativ immer die gleiche Ware. Die Qualität der einheimischen Land- und Zahmhäute war aber schlecht und von ungleicher Qualität, vor allem abhängig von den Schlachtverhältnissen der einheimischen Metzger und der Landwirte. Genau an dieser Stelle setzte Johann Wilhelm Rautenstrauch an. Seine Absicht war es, den einheimischen Gerbern anderes Ausgangsmaterial zu beschaffen. Er wollte die Betriebe umstellen auf die qualitativ bessere Wildhaut, die bereits Eingang in die Lederproduktion in Frankreich und Spanien gefunden hatte. Das daraus erzeugte Leder war von ungleich höherer Qualität.

Als Händler gab Rautenstrauch eine Absatzgarantie. Diese konnte aufgrund der raschen Bevölkerungszunahme und durch den Bedarf des preußischen Militärs an Sohlleder gewährleistet werden. Die Produktion von Sohlleder stieg um ein Vielfaches. Johann Wilhelm Rautenstrauchs fundierte Sachkenntnisse in Bezug auf Lederherstellung und Handel sicherten ihm das Ansehen und Zutrauen der Gerber und des Lederhandels. Bald war eine gleichmäßige Lieferung und Abnahme gewährleistet. Hierzu ermöglichte er es den Gerbern, einen kompletten Posten Rohhäute zu kaufen, so dass auf lange Sicht nach einem Betriebsplan gearbeitet werden konnte. Da den Betrieben oftmals der Lagerraum fehlte, lagerte er die Häute in seinen Räumen in Trier ein, bis die Gruben der Gerber frei waren. Wurde das gegerbte Leder bisher pauschal verkauft, wurde nunmehr in Prima- und Secundaware unterschieden, nach schweren und leichten Stücken, so dass auch verschiedene Fabrikationszweige angesprochen werden konnten. Die Betriebe konnten sich nunmehr so gliedern, dass man ihre Produkte unterscheiden konnte nach Sohlleder, Oberleder oder Leder für Taschen und Bekleidungsstücke. Die Erweiterung der Produktpalette hielt Johann Wilhelm Rautenstrauch für sehr wichtig, um den Absatz zu steigern.

In seinem neuen Lagerhaus in der Metzelstraße wurden Häute und Fertigprodukte nach den eben aufgezeigten Grundsätzen eingelagert, so dass Produzent, Verkäufer und Käufer die gleichen Ordnungskriterien hatten. Die aufgekauften Häute wurden nach Lieferart (Schiff oder Landtransport), nach Herkunftsland, Güteklasse und nach Gewichtsstaffeln gelagert. Somit war eine völlig neue Grundlage für die Betriebskalkulation geschaffen.
Für Johann Wilhelm Rautenstrauch war es wichtig, dass die Gerber als Kunden und die Käufer der Lederindustrie eine eingehende Beratung erhielten. Dies hatte er während seiner intensiven Ausbildung gelernt. Durch die Beratung von Käufern und Verkäufern, von Produzent und Lieferant, erarbeitete er sich eine Führungsposition in der gesamten westdeutschen Lederindustrie. Hoch angesehen waren seine Kenntnisse der einzelnen Kundenbetriebe und ihrer Spezialbedürfnisse. Man sagt ihm heute noch nach, dass er jede Haut gekannt hatte und ihre Entwicklung bis zum fertigen Leder in den örtlichen Gerbereien verfolgt hatte.

Die Qualität der einheimischen Land- und Zahmhäute war relativ schlecht und von unterschiedlicher Qualität. Daher begann Johann Wilhelm Rautenstrauch mit dem Import von La-Plata-Häuten, die er aus Argentinien und Uruguay importierte. Die Brasilhäute stammten aus dem Gebiet um den Rio Grande. Auch von der Westküste Chiles und aus Venezuela importierte er Häute. Er bezog sie entweder über Le Havre auf dem Landweg, später von Metz per Schiff oder Bahn. Exotische Häute, wie z.B. indische Kipse (Häute einer Ziegenart) bezog er über London, Häute aus Java über Rotterdam. Bisher hatte man die Häute als Trockenhäute, gegen Insektenfraß vergiftet und luftgetrocknet importiert. Johann Wilhelm Rautenstrauch versuchte nun, eine andere Art des Importes durchzusetzen, die eine bessere Lederqualität versprach. In Südamerika ließ er frische Häute in eine Salzsole legen und importierte sie als Nasshäute. Diese verloren auf dem Transport zwar etwas an Gewicht, waren aber von besserer Qualität. Der Erlös lag zwischen 3 - 6 Talern höher als bei der einheimischen Zahmhaut.

Im zweiten Jahrzehnt seiner Firma erweiterte Johann Wilhelm Rautenstrauch seinen Betrieb und gründete 1830 in Köln eine Filiale durch Aufkauf der Kölner Häutefirma Hölterhoff, die sein jüngerer Bruder Ludwig Theodor leitete.
(siehe im Kapitel "Recherche")
In Antwerpen übernahm er die Firma Kreglinger und in Crombach/Siegerland die Fa. Mallinckrodt. Seine Rechnung in Bezug auf die Ausbreitung des Lederhandels, die er den Gerbern klarmachte, war aufgegangen. In Trier und an der Saar gab es keine Kleinbetriebe mehr, sondern nur noch Gerbereien, die mehr als 20 Gesellen und mehr als 5 Hilfskräfte angestellt hatten. Die Produktionssteigerung, die eintrat, spricht für sich:
1824 3.000 Sohlhäute
1855 18.000 Sohlhäute
1856 29.000 Sohlhäute
Von diesen Häuten kamen 20.000 aus Kalkutta und der Rest aus Südamerika. Die einheimischen Häute hatten nur noch einen verschwindend kleinen Anteil.
An Leder wurde verkauft:
1855 4.055 Zentner
1856 5.613 Zentner

Im Jahre 1841 schied das Bankhaus Reverchon aus der Firma aus und die St. Wendeler Kaufmannsfamilie Cetto trat mit einer Einlage von 60.000 Talern in die Firma ein. Der Betrieb expandierte dermaßen, dass Köln ein führender Umschlagplatz für die Häute- und Lederindustrie wurde. Die Firmen in Köln und Trier wurden von Johann Wilhelm Rautenstrauch unter einheitlicher Bilanzierung geführt. Unterschiedlich war lediglich der Absatzmarkt. Von Trier wurden die Eifel, die Mosel, Belgien, die Pfalz, Elsass-Lothringen und Südamerika bearbeitet. Von Köln aus wurden die Gebiete Voreifel, Sauerland, Eupen-Malmedy, Russland, Polen und Schlesien gesteuert. In Erfurt und Braunschweig, in Warschau und St. Petersburg unterhielt Johann Wilhelm Rautenstrauch Agenturen. In die Kölner Firma wurden schließlich die Firmen Osterried und Richards integriert.

Firmenmitglieder gingen nach Antwerpen, Le Havre und Brüssel, um dort die Importgeschäfte zu leiten. Rotterdam wurde nicht ausgenommen.

Im Jahre 1857 entsandte er seinen Sohn Valentin nach Buenos Aires, um dort in allen drei La - Plata - Staaten Beziehungen anzuknüpfen, nicht nur zu den Exporteuren, sondern auch zu den Großschlächtern. Die Reise wurde ein voller Erfolg. In Buenos Aires wurde eine Agentur der Firma Johann Wilhelm Rautenstrauch und Co. eingerichtet, die für das Stammhaus in Trier und die andern Filialen von größter Bedeutung war. Nunmehr brauchte man keinen fremden Importeur mehr, sondern importierte selbst. Der negativen Entwicklung des Importgeschäftes konnte er entgegenwirken und übernahm in Antwerpen die Importfirma Bracht, deren Niederlassung bis 1970 in Buenos Aires existierte und nach wie vor Häute exportierte.

Die Aufnahme des ältesten Sohnes im Jahre 1858 in die Firma war die letzte maßgebliche Anordnung, die Johann Wilhelm Rautenstrauch tätigte.

Neben seinen geschäftlichen Aktivitäten hat Johann Wilhelm Rautenstrauch eine lebhafte Tätigkeit zum Wohle der Stadt Trier entwickelt. Besonders erwähnenswert sind seine Bemühungen um die Erweiterungen der Verkehrswege. So hat er seit 1838 dem Vorstand der Moseldampfschifffahrtsgesellschaft angehört. Die Verwirklichung der Moseldampfschifffahrt erlebte er 1841. Finanziell förderte er den Ankauf von geeigneten Schiffen und leitete auch den Schifffahrtsbetrieb. In ähnlicher Weise engagierte er sich bei der Anbindung von Trier an das Eisenbahnnetz. Er erlebte noch die Einweihung einer Teilstrecke der Bahnlinie Trier - Saarbrücken - Luxemburg. Schließlich war auch die Errichtung der Handelskammer Trier sein Werk. Bei der Eröffnung der Kammer am 06.07.1855 wurde er zu ihrem ersten Präsidenten gewählt.

Politisch war er als Stadtverordneter engagiert. Er verhielt sich hier allerdings sehr zurückhaltend. Nur bei der revolutionären Bewegung 1848 trat er in den Vordergrund. So verfasste er das Dankesschreiben an den preußischen König für die Auflösung der starr oppositionellen preußischen Nationalversammlung und für die revidierte Verfassung vom 05. 12.1849, die die Revolution abschloss.
 
 

Seine Ehe mit Susanne Leonardy war sehr fruchtbar. Aus ihr entstammten 12 Kinder. Das Ehepaar Rautenstrauch lebte oftmals, sicher aus geschäftlichen Gründen, getrennt. Er lebte in der Dietrichstraße im Warsberger Hof, der seit der Übernahme durch ihn "Palais Rautenstrauch" hieß. Susanne Leonardy wohnte die meiste Zeit ihres Lebens auf dem Karthäuser Hof, einem Weingut vor den Toren der Stadt, welches ihr Vater von der französischen Domänenverwaltung im Jahre 1811 erworben hatte. In der Familie erzählte man sich, dass das Ehepaar sich sonntags zur Messe im Dom traf. Anschließend dinierte man zusammen in der Dietrichstraße, und hier seien die 12 Kinder entstanden. Aus diesem Grunde erhielt er auch familienintern den Spottnamen "Karnickelbock".

Johann Wilhelm Rautenstrauch starb am 20.12.1858. Beerdigt wurde er auf dem Friedhof in der damaligen Ruwerer Straße. Seine Frau Susanne Valentine Leonardy war am 29.03.1848 verstorben. Die Grabstätte der Eheleute ist bis heute von der Stadt Trier als Ehrengrab erhalten worden. Der Trierer Stadtrat beschloss im Jahre 1861, die Straße östlich des „Palais Rautenstrauch" nach Johann Wilhelm Rautenstrauch zu benennen.

Die schon erwähnte Aufnahme seines Sohnes in die Firma im Jahre 1858 diente Johann Wilhelm Rautenstrauch dazu "sein Haus zu bestellen". Zu diesem Zeitpunkt ließ er eine Bilanz erstellen, die ein Kapital von 900.000 Talern aufwies, ohne Immobilienbesitz, der auch nicht gerade unerheblich war. Er umfasste das "Palais Rautenstrauch" in der Dietrichstraße, ein Haus in der Ostallee, sowie das Weingut Karthäuserhof in Eitelsbach und Schloss Monaise. Die Firmenleitung wurde geteilt zwischen seinem Sohn in Trier und seinem Neffen in Köln, sowie dessen Schwager in Frankfurt. Die Leitung der ausländischen Betriebe geschah von Trier aus.

Durch sein Lebenswerk, die Förderung der Trierer Lederindustrie, sicherte er mit dem erworbenen Kapital die Existenz seiner Firma bis nach dem 1. Weltkrieg. Die Firma Rautenstrauch und Co. in Köln wurde infolge des totalen Import- und Exportverbots nach dem ersten Weltkrieg 1920 und in Trier 1933 aufgelöst. Die Agenturen in Antwerpen, Brüssel und Buenos Aires bestanden noch bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Nach dem zweiten Weltkrieg war der Hauptsitz der Firma in Buenos Aires und wurde von Max Rautenstrauch geführt, einem Urenkel von Johann Wilhelm Rautenstrauch. Die Trierer sehen noch heute in Johann Wilhelm Rautenstrauch eine der hervorragenden Gestalten der Bürgerschaft. Er war für sie das Urbild des Patriziers, des Reichen, des Frühkapitalisten, aber auch des Helfers, des Gutmütigen und des Vertreters der Armen.

Johann Wilhelm Rautenstrauch hatte 49 Enkel. Heute sind es weit über 100 Vettern und Cousinen 4. Grades, die teilweise noch einen sehr intensiven Kontakt pflegen.
 

 
Dieser Text ist entnommen aus dem Buch:
Constantin Cnyrim: Chronik der Familie Tobias, Band II, Die kognatischen Nebenlinien, Königswinter 2000, S.369ff
(siehe das Kapitel "Literatur")

 

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